Euer Pfeil erreicht den Himmel, unserer fliegt in den Orbit: Der dritte Newsletter (2020).
Liebe Freunde,
Grüße vom Pult des Tricontinental: Institute for Social Research.
Am Mittwoch, dem 15. Januar, haben China und die Vereinigten Staaten vereinbart, ihren umfassenden Handelskrieg auszusetzen. Beginnend im Februar 2018 legten die Vereinigten Staaten Zölle auf chinesische Waren, die auf den US-Markt kamen; China übte dann Vergeltung. Dieses «Retourkutschenspiel» dauerte fast zwei Jahre und führte zu massiven Störungen in der globalen Wertschöpfungskette. Im Oktober 2019 berichtete die G-20-Aufsicht des Internationalen Währungsfonds, dass das globale BIP allein aufgrund der Zölle auf Waren wie Aluminium, Stahl, Sojabohnen und Autoteile zwischen den USA und China um 0,8 % gesunken ist. Westliche Angriffe auf chinesische 5G-Technologie – und auf das Technologieunternehmen Huawei – sind Teil des Drucks auf China, vor der von den USA geführten Ordnung zu buckeln. Aber China beugte sich nicht. Als Vorspiel zum «Phase 1»-Deal hörte das US-Finanzministerium auf, China als «Währungsmanipulator» zu bezeichnen, ein Begriff, der China seit Jahrzehnten verfolgt.
Die Aussetzung des Handelskrieges wird mit einem «Phase 1»-Deal einhergehen, dessen Text neun Kapitel zu Themen wie geistigen Eigentumsrechten und Finanzdienstleistungen umfasst. Am auffälligsten ist, dass China zugestimmt hat, Firmen, die in China investieren, nicht mehr zu bitten, ihre Technologie zu teilen; dies ist eine signifikante Veränderung des bisherigen Entwicklungsmodells Chinas. Der «Phase 1»-Deal ist lediglich die erste Stufe eines andauernden Prozesses von Verhandlungen und Konfrontationen, der noch lange währen dürfte. Wenn «Phase 1» gut verläuft und die Umsetzungs- und Dialogmechanismen funktionieren, werden die beiden Länder zu «Phase 2» übergehen. Chinesische Diplomaten sagen, dass sie nicht mit einer sofortigen Rückkehr in die Zeit vor der Konfrontation rechnen, also vor den Beginn des Handelskrieges im Februar 2018.
Die Nachricht über ein mögliches Handelsabkommen veranlasste den Internationalen Währungsfonds sofort dazu, seine Wachstumsprognose für China für 2020 von 5,8% auf 6% zu revidieren. US-Finanzminister Steven Mnuchin sagte, dass die BIP-Zahlen für die Vereinigten Staaten für 2020 auf 2,5% angehoben würden (obwohl der IWF weiterhin ein BIP von 1,9% für die Vereinigten Staaten prognostiziert). Es ist wahrscheinlich, dass die niedrigen Erwartungen für die Weltwirtschaft (mit einem BIP-Wachstum von 2,5% für 2020) für das Jahr ebenfalls nach oben korrigiert werden könnten, obwohl die Prognosen für eine schwere globale Kontraktion in Kraft bleiben; die Signale des CFO von Deloitte für das vierte Quartal 2019 deuten darauf hin, dass die US-Unternehmen begonnen haben, die Investitionen in Erwartung eines ernsthaften Abschwungs – aber nicht einer Rezession – weiter einzuschränken. Die US-Firmen verloren mindestens 46 Milliarden Dollar als Folge des Handelskrieges, der im Februar 2018 von US-Präsident Donald Trump begonnen wurde. Der Druck der US-Firmen auf das Weiße Haus und Trumps Notwendigkeit, einen «Sieg» im Handelskrieg zum Wahlkampfthema zu machen, trieben die USA an den Verhandlungstisch. Bis zum vierten Quartal 2018 war Chinas Wirtschaftswachstum das langsamste seit 1990, weshalb China schon seit Februar 2018 bereit war, offene Fragen zu diskutieren.
Im Tricontinental: Institut für Sozialforschung Dossier Nr. 24 – Die Welt schwankt zwischen Krisen und Protesten – gibt es einen wichtigen Abschnitt über die neue «bipolare Welt». Es ist allgemein anerkannt, dass die Macht der USA seit dem illegalen Angriff auf den Irak im Jahr 2003 und seit der Weltfinanzkrise 2007-08 geschwunden ist; gleichzeitig lässt sich das rasche Wachstum der chinesischen Wirtschaft und die wachsende Bedeutung Chinas auf der Weltbühne kaum leugnen. Als sich China und Russland vor einem Jahrzehnt mit Brasilien, Indien und Südafrika zu den BRICS zusammenschlossen, schien es, als würde sich die globale Architektur von der amerikanischen Unipolarität (mit ihren Verbündeten als Satelliten um den US-Hub) zur Multipolarität verschieben; aber mit der sich vertiefenden Krise in Ländern wie Brasilien und Indien wird die neue globale Architektur – so das Institut für Internationale Beziehungen der Tsinghua-Universität – eine bipolare sein, mit den USA und China als den beiden Polen der globalen Ordnung.
Die Wachstumsraten Chinas seit Beginn der Reformära 1978 bleiben verblüffend. Der Versuch, dies zu erklären, hat eine enorme Menge an Literatur hervorgebracht, die allerdings nur teilweise erklärend ist, sich zum größten Teil aber in Klischees ergeht. Professor Wang Hui von der Tsinghua-Universität deutet an, dass Chinas politischer Rahmen nicht entlang orthodoxer neoliberaler Linien verläuft, sondern dass er aus dem Bekenntnis der Kommunistischen Partei Chinas zur Souveränität hervorgegangen ist, aus den immensen Fortschritten im Gesundheits- und Bildungswesen in den ersten Jahrzehnten der Revolutionszeit, aus der Aufwertung der chinesischen Wirtschaft durch die sozialistische Warenwirtschaft jener Zeit, aus den anhaltenden Kämpfen auf dem Land zur Veränderung der Agrarverhältnisse und aus dem tiefen Pragmatismus der Kommunisten («Überquere den Fluss, indem du die Steine fühlst»). Professor Hui warnt, dass die Belastungen der Marktgesellschaft begonnen haben, neue – und gefährliche – Widersprüche für China zu erzeugen. Einer der überwältigenden Widersprüche sind die Drohungen der Vereinigten Staaten.
Die Vereinigten Staaten – die gewohnheitsmäßig dominieren – gaben ihr Bestes, um die wachsende globale Rolle Chinas zu beeinflussen und zu behindern. China zu managen bedeutet, es einzuschüchtern, damit es den wirtschaftlichen Interessen der USA untergeordnet bleibt: Washington beschuldigte Bejing der Währungsmanipulation und versuchte, China dazu zu bringen, seine Währung zum Vorteil der Vereinigten Staaten zu revidieren; dies ist nicht geschehen, und sein Scheitern ist ein Zeichen dafür, dass China sich nicht der US-Autorität beugen wird. Auf die Vorwürfe bezüglich der Währungsmanipulation folgten schnell Behauptungen, China habe Technologietransfers erzwungen oder geistiges Eigentum gestohlen, China habe den Zugang zu Finanzdienstleistungen verhindert und seine Industriesubventionen nicht gekürzt. Jeder US-Präsident im letzten Jahrzehnt – George W. Bush, Barack Obama und Donald Trump – hat die Anschuldigungen gegen China befeuert und China als völlig betrügerisch dargestellt.
Als China sich weigerte, die Forderungen der USA zu akzeptieren, und als es sein wirtschaftliches Projekt – die Belt and Road Initiative – weiter entwickelte, gingen die USA dazu über, China politisch und militärisch entlang mehrerer Achsen zu bedrohen, von denen einige von Wu Xinbo entwickelt wurden, dem Dekan des Institute for International Studies at Fudan University.
(1) Indo-Pazifik-Strategie. Im Jahr 2017 begannen die Vereinigten Staaten und Indien eine «Indo-Pazifik»-Strategie zu entwickeln, die diese beiden Länder gegen Chinas Belt and Road Initiative (entlang des eurasischen Landes) und seine String of Pearls Initiative (im Indischen Ozean) zusammenbringen sollte. Das erste Dokument der Indo-Pazifik-Strategie, das vom US-Verteidigungsministerium im Juni 2019 erstellt wurde, zeigt mit dem Finger auf China, das, wie gesagt wird, «versucht, die Region zu ihrem Vorteil neu zu ordnen, indem es die militärische Modernisierung, Einflussnahme auf Operationen und räuberische Wirtschaft nutzt, um andere Nationen zu bezwingen». Die Vereinigten Staaten und Indien sollen – neben Japan und anderen kleineren Staaten – einen Block bilden, um den Aufstieg Chinas zu einer kontinentalen und globalen Macht zu verhindern. Es ist keine Ironie, dass das US-Verteidigungsministerium sich über «Einflussnahmeoperationen» und «räuberische Wirtschaft» beschwert, die beide eng mit der US-Politik (einschließlich der Indo-Pazifik-Strategie selbst) in Verbindung stehen.
(2) Die Instrumentalisierung von Taiwan. Das Indo-Pazifik-Dokument fördert die Verteidigung Taiwans als wesentlichen Pfeiler der US-Strategie. China besteht seit langem auf der diplomatischen Isolierung Taiwans und drängt auf seine eventuelle Eingliederung in China. Da Taiwan keine Botschaft in Washington hat, gibt es in Taiwan seit 1971 einen Koordinierungsrat für nordamerikanische Angelegenheiten und die Wirtschafts- und Kulturrepräsentanz in Taipeh; Trump änderte den Namen zu Taiwan-Rat für US-Angelegenheiten, eine Bezeichnung, die Peking erzürnt hat. Trump und seine Beamten haben nicht nur gesagt, dass sie die Beziehungen zwischen den USA und Taiwan ausbauen möchten; die USA haben Taiwan F-16-Kampfjets verkauft und die Wiederwahl von Tsai Ing-wen von der Demokratischen Fortschrittspartei – die Taiwans Unabhängigkeit von China behauptet – bei den Präsidentschaftswahlen im Januar 2020 voll unterstützt.
(3) Hongkong und Xinjiang. Im Indo-Pazifik Dokument des US-Verteidigungsministeriums heißt es, dass die USA – und Indien – «tiefe Besorgnis» über das Schicksal der muslimischen Bevölkerung in China äußern; gleichzeitig haben die USA gesagt, dass sie zur Protestbewegung in Hongkong stehen. Die Besorgnis über chinesische Muslime ist nicht glaubwürdig, wenn sie aus den USA kommt, wo Trump’s Muslim-Verbot seine eigene Haltung definiert, und aus Indien, wo Premierminister Narendra Modi eine eindeutig antimuslimische Staatsbürgerschafts- und Flüchtlingspolitik betrieben hat. Die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten nutzen die Fälle von Hongkong und Xinjiang, um Druck auf China auszuüben; die Menschen in Hongkong und Xinjiang sind wahnhaft, wenn sie glauben, dass sich die USA tatsächlich um Demokratie und Muslime scheren.
(4) China in Afrika. Seit zehn Jahren beklagen die USA und die Europäer, dass China die neue Kolonialmacht in Afrika ist. Es stimmt, dass die chinesischen Investitionen in Afrika astronomisch zugenommen haben, aber in vielen Ländern bleibt der Hauptwirtschaftspartner der alte Kolonialgegner. Nichtsdestotrotz geht es in dieser Erzählung von China als Kolonialmacht nicht um Fakten, sondern um einen Zweck: die Verunglimpfung der chinesischen Handelsstrategie im globalen Süden und die Herausforderung, die sie für die Hegemonie der USA und ihrer Verbündeten darstellt. Das tatsächliche Vorgehen Chinas ist im Human Development Report 2013 gut beschrieben: China gewährt Vorzugskredite und richtet Ausbildungsprogramme ein, um den Bekleidungs- und Textilsektor in den afrikanischen Ländern zu modernisieren. China hat seine reifen Industrien wie die Lederindustrie ermutigt, sich der Lieferkette in Afrika anzunähern, und seine modernen Unternehmen in den Bereichen Telekommunikation, Pharmazie, Elektronik und Bauwesen ermutigt, Joint Ventures mit afrikanischen Unternehmen einzugehen. Vor einigen Jahren habe ich den ehemaligen Außenminister Tansanias, Ibrahim Kaduma, gefragt, was er von den chinesischen Handelsinteressen in Afrika hält. «Die afrikanischen Staaten müssen selber über ihren Weg nach vorn entscheiden», sagte er, «sie sollten sich nicht von westlicher Panikmache leiten lassen.»
Seit Februar 2018 sind verschiedene von den USA und China eingerichtete Streitbeilegungsmechanismen – darunter der Strategische Wirtschaftsdialog – nicht mehr funktionsfähig. Das jüngste «Phase 1»-Abkommen schafft neue Plattformen für Diskussionen und Debatten und bietet einen Fahrplan zur Beilegung des durch diesen Handelskrieg entfesselten Chaos. Aber dieses Abkommen ist ein Waffenstillstand – kein Friedensvertrag. Die Auseinandersetzungen werden weitergehen; die Instabilität wird bleiben. «Chaos und Unordnung», wie die Wissenschaftler der Tsinghua-Universität schreiben, bestimmen den Weg in die Zukunft.
Herzlichst, Vijay.